von Matthias Bauer
40 Jahre ist es her, dass Klaus-Jürgen Rattay nach der Räumung von acht besetzten Häusern auf der Kreuzung Bülow/Potse vom einem BVG-Bus erfasst und zu Tode geschleift wurde. Es gab ein Denkmal für ihn auf dem Bürgersteig, das bei bei Straßenarbeiten vor ein paar Jahren verschwunden ist. Nun am 22.09.2021 um 14 Uhr soll das neue Denkmal eingeweiht werden, diesmal mit dem Segen des Bezirks. Mit dabei sein werden die Künstler, die das neue Denkmal gestaltet haben, die Bezirksbürgermeisterin und weitere Politiker.
Was passierte am 22.09.1981 ?
Nach der Räumung von acht besetzten Häuser präsentierte sich der damalige Innensenator Lummer auf dem Balkon der Bülow 89 in Siegerpose. Ungefähr 200 Leute versammelten sich unter der Hochbahn gegenüber des Hauses und protestierten – lautstark aber friedlich. Die Antwort auf den Protest war ein Schlagstockeinsatz der Polizei. In panischer Angst rannten die Demonstranten Richtung Potsdamer Straße. Dort auf der Kreuzung kam Klaus-Jürgen Rattay unter die Räder des BVG-Busses.
Über Polizeifunk und Medien wurde im Anschluss das Gerücht verbreitet, Klaus-Jürgen Rattay habe den BVG-Bus angreifen wollen. Ebenso wurde das Gerücht verbreitet, ein Polizist sei erstochen worden von Demonstranten. Beides war gelogen. Doch noch Monate nach seinem Tode wurde gegen Klaus-Jürgen Rattay ermittelt wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, um damit von den eigentlich Verantwortlichen abzulenken. 1984 schließlich stellte das Oberverwaltungsgericht in einem Urteil klar, dass die Proteste vor der Bülow 89 friedlich abgelaufen waren, der Schlagstockeinsatz der Polizei unverhältnismäßig war und dass Klaus-Jürgen Rattay den BVG-Bus nicht angegriffen hat. Als die Lüge, dass Klaus-Jürgen Rattay den Bus angegriffen habe, nicht mehr haltbar war, verlegten sich konservative Medien darauf, ihn als minderbemittelt und dumm darzustellen, so als sei es ein Unfall gewesen, den er selbst verursacht habe. Die Verantwortlichen für den Polizeieinsatz wurden nie zur Rechenschaft gezogen.
Wikipediaeintrag zu Klaus-Jürgen Rattay
Zur Vorgeschichte
Im Frühjahr hatte der CDU/FDP-Senat die zuvor jahrzehntelang regierende SPD abgelöst. Zu dem Zeitpunkt waren rund 170 Häuser in Berlin besetzt, ca. 30 davon in Schöneberg. Neue Besetzungen wurden jedoch nicht mehr toleriert. Das hatte zuvor schon Jochen Vogel (SPD) als Regierender Bürgermeister durchgesetzt. Für den Herbst 1981 wurde die Räumung von acht besetzten Häusern angekündigt. Dies war von der neuen CDU/FDP-Regierung als Zeichen gedacht, wie man mit den Hausbesetzungen umgehen wollte. Mit dem großen TUWAT-Festival im Sommer 1981 stemmten sich die Hausbesetzer dagegen. Jugendliche aus halb Europa strömten zur Unterstützung nach Berlin. Es gab fantasievolle Aktionen, wunderbare Konzerte und die Solidarität von namhaften Paten wie Joseph Beuys, Günter Grass, Gollwitzer, Jean-Claude und Christo, Horst-Eberhard Richter, Lea Rosh, Petra Kelly um nur einige zu nennen. Alles half nichts. Die CDU-geführte Regierung unter Richard von Weizsäcker hielt daran fest, die Häuser räumen zu wollen.
Sechs der acht Häuser waren im Besitz der Neuen Heimat, damals die gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft, offiziell gemeinnützig, tatsächlich jedoch ein Sumpf aus Misswirtschaft und Korruption. Als „Sanierungsträger“ hatte die Neue Heimat mit Hilfe öffentlicher Subventionen große Altbaubestände in Schöneberg und Charlottenburg erworben – und dann leerstehen lassen.
Noch ein paar Tage vor der Räumung wurde im Landesvorstand des DGB diskutiert, ob man die Neue Heimat anweisen solle, die Strafanträge wegen Hausfriedensbruchs gegen die Hausbesetzer zurücknehmen. Ohne die Strafanträge hätten die Häuser nicht geräumt werden können. Der Landesvorstand des DGB entschied sich jedoch dafür, die Strafanträge nicht zurückzunehmen. Insofern waren die Räumungen der acht Häuser am 22.09.81 eine gemeinsame Aktion einer ganz großen Koalition aus CDU und FDP sowie der SPD, denn im Landesvorstand des DGB waren fast alle gleichzeitig auch Mitglieder in der SPD.
Wie ging es danach weiter?
Das tragische Unglück ließ erst mal alle innehalten. Dann entwickelten sich neue Initiativen zur Legalisierung der Häuser, z. B. durch den Bischof der evangelischen Kirche, Kruse. Die Debatte innerhalb der Hausbesetzerbewegung – Verhandeln oder Nichtverhandeln – wurde nun weniger erbittert geführt. Auf Regierungsseite zeigten sich Brüche. Bausenator Rastemborkski setzte auf Verhandlungslösungen, die dann von anderen Regierungsmitgliedern immer wieder torpediert wurden. Es wurde weiter geräumt und weiter verhandelt.
Die letzte Räumung in Schöneberg war die der Bülow 55 kurz vor Weihnachten 1983. Die Bülow 55 war ein Komplex mit zwei Hinterhöfen und insgesamt sieben Treppenaufgängen. Als am Tag nach der Räumen die Besetzer nochmal ins Haus durften, um ihre persönlichen Sachen zu holen, sah der damalige Bezirksbürgermeister Jakesch zufrieden lächelnd von der gegenüberliegenden Straßenseite zu. Den geräumten Besetzern wurden dann vorübergehende Ersatzräume angeboten in der Ollenhauer Allee in Reinickendorf, in einem ehemaligen „Erziehungs“heim, in dem die Zimmertüren nur außen Türklinken hatten. Im Frühjahr 1984 wurden dann die beiden Seitenfügel und die beiden Quergebäude der Bülow 55 abgerissen. Nur das Vorderhaus blieb stehen. Auch aus heutiger Sicht eine unglaubliche Verschwendung von Wohnraum!
Von den ehemals 30 besetzten Häusern in Schöneberg wurde nur eine Handvoll legalisiert. Doch haben die Hausbesetzer und die ihr vorhergehende Mieterbewegung Berlin verändert. Die Zeit der Kahlschlagsanierung war damit endgültig vorbei. Es kam die Zeit der behutsamen Stadterneuerung. Heute zählen die Bestände, die die Hausbesetzer vor dem Abriss gerettet haben, zu den begehrtesten auf dem Immobilienmarkt.
Der 22.09. in der taz
Am vergangenen Samstag gab es zum 40. Todestag von Klaus-Jürgen Rattay ein Interview mit Gerhard Schuhmacher, der damals mit einer Super-8-Kamera unterwegs war und den Vorfall gefilmt hat.
Link: Die taz zum 40 Todestag von Klaus-Jürgen Rattay, Ausgabe vom 18. September 2021
Und vielen Dank an das taz-Archiv für die historischen Ausgaben vom 23.09.81 und 24.09. 81 sowie die Leserbriefe vom 30.09.81. Durch Klick auf die Titelblätter werden PDF-Dokumente geladen, in denen außer der Titelseite noch die erste Seite des Berlinteils enthalten ist.
Im Tagesspiegel-Checkpoint habe ich eben den Link zu diesem Video gefunden:
https://www.youtube.com/watch?v=9CHG_2MKjCE
Darin wird Klaus-Jürgen Rattay am 21. September interviewt.
Zur Frage, ob er Angst vor dem nächsten Tag habe, sagt er:
„Ich habe Angst, aber ich habe gleichzeitig Mut, zu kämpfen.“
All dies darf nie vrgessen werden.
Danke für den wichtigen Artikel, Matthias!
Danke,für den Realitätnahen Artikel.Jeder der dabei war hat natürlich seine eigene Perspektive und ich habe damals als Kind-Jugendliche bis 14 Jahren in der Bülow 89 gewohnt und kann es bis heute nicht verstehen, wie das Jugendamt es zulassen konnte auch unter SPD das Kinder verprügelt wurden durch die Polizei, sowie es bis heute passiert unter Innensenator Herr Geisel-SPD. Bekomme den Eindruck,das Sie aus der Zeit nicht gelernt haben. Siehe Uno-Folterbeauftragter der unter RRG die Polizeigewalt prüfen muss da wir auf den 3 Platz stehen nach Korea und China. Die Bürgermeisterin SPD hat mir als Zeitzeugin das Wort verwehrt, sowie damals die CDU und schmückt sich jetzt mit Schandtat von damals um von heute abzulenken. Wie konnte es das die Polizei mich nach der Räumung nicht den Jugendamt meldete trotz spätere Vermisstenanzeige? Klaus Jürgen Rattay,wurde den Tag davor aus der B89 rausgeschmissen, da er etwas Aggressiv ,heute würde man sagen ADSler und wahrhaftig ein großes Kind. Ich kann man mich nur noch aus der Kinderpespecktive erinnern und war noch sehr Kindlich, siehe TAZ-Foto.Aus den von uns erkämpften Rechten, nach der Berliner Linie und folgenden Randalen,ist leider nicht viel übrig geblieben,nach Wende hat der Rot-Rote Senat-die gesetze aufgehoben und die Häuser verkauft. Jetzt wollen Sie zurückkaufen und nutzen dies Heuchlerisch für den Wahlkampf.Damals durftes es keinen Lehrstand von 1 Jahr geben und war Strafbar auch die Traufhöhe wurde aufgehoben und die Mietpreisbremse weichgeklopft… Mietkaufverträge für Einkommensschwache oder Sozialhilfeempfänger ist heute unvorstellbar, statt dessen Gemeinwohlorientierte Wohlfahrtsmafia-Imobilien siehe Fidicinstr.Union-Hilfswerk oder Diakonie-Treberhilfe und Nachbarschaftsheim Schöneberg,was damals noch in Selbstverwaltung war -Friedenauer Kinderhaus….Ich schreibe weiter an mein Filmbuch und als Senografin und aus dem A.G.Bethanien wie Rauchhaus…..Die Zeit hatte auch viele Schattenseiten und war auch von den erwachsenen Hausbesetzerbewegung, Jugendamt-und Polizei uns Minderjährigen Gegenüber Verantwortungslos-normalerweise hätte ich in eine Jugend WG gehört und nicht in elegalen besetzten Häuser wo ich gegen Schulpflicht und anderes angestiftet und indoktriniert wurde,auch wurden die Rechtsfreie Räume, später B55/54 von Pädophilen Kinder missbraucht und ich hoffe auf die Aufklärung und Aufhebung der Verjährungsfristen, nach unsere größten Petition 2018, eine Entschädigung. Viele von uns damals sind verstorben, bereits als Jugendliche und Minderjährig. Es wäre doch schön wenn die Politiker uns Betroffene und Zeitzeugen. statt sich mit unseren Federn zu schmücken .Das betrifft auch die Linke mit Ihren Kultursenat, der mich nur anbrüllte statt mich in meinen Kunst-Kulturprojekt-Freie Volksbühne Berlin West-und den Minderheitenschutz für die West-Berliner Insulaner zu fördern, in Lohn und Brot und nicht die Miete-Wohngeld zu enteignen von fast 5000,-€…….Ich musste viel nachlernen und nicht jeder hat es damals aus der Linie1 geschafft. Drugstore Jugend 1977-1989 SSB e.v. und aus der B89-Freieschule-Mehringhof und A.G Bethanien-Tischlerei.“Kleine Jenny“
Micha Sontheimer im Spiegel über den 22.9.
https://www.spiegel.de/geschichte/hausbesetzer-klaus-juergen-rattay-in-west-berlin-1981-tod-unter-dem-bus-a-7c97fd8c-8af7-4bed-9bb5-6eae50fa1917