von Cordula Mühr
Der Crellemarkt ist im Schöneberger Norden eine wichtige Einkaufsmöglichkeit. Ganz besonders große Familien mit kleinem Geld decken sich hier an den Samstagen mit notwendigen frischen Lebensmitteln ein. Wenn der Markttag sich dem Ende zuneigt purzeln hier die Preise und es gibt Obst und Gemüse zum absoluten Schnäppchenpreis. Kein Wunder also, wenn der Andrang dann gross ist.
Das Bezirksamt Tempelhof Schöneberg hat nun entschieden, dass der Markt infolge der Corona-Lage an den nächsten Samstagen nicht stattfinden darf.
Ja, es ist wahr, die Infektionsraten sind hoch
Das Virus ist hochansteckend und gefährlich, die Sterberaten – auch in Berlin – sind erschreckend hoch!
Und ja, es ist auch wahr, ich habe das ebenfalls mit Sorge erlebt: die Abstände auf dem Crellemarkt (und nicht nur hier! ) wurden nicht eingehalten und die Maskenpflicht nicht ausreichend beachtet.
Aber gab und gibt es für das Bezirksamt keine andere Möglichkeit, kein „milderes Mittel“ , darauf einzuwirken?
Was hat Das Bezirksamt dafür getan, die Menschen im Kiez nachhaltig und v.a. verständlich zu informieren über die Massnahmen zur Eindämmung des Virus? Wo war das Bemühen, ganz besondere die schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen anzusprechen, geduldig, kultursensibel, verständlich, mithilfe von Multiplikator*innen, die die Menschen auch wirklich erreichen?
Was hat das Bezirksamt für einen niedrigschwelligen Zugang zu wirksamen Masken getan?
FFP-2 Masken sind teuer, sie dürfen nicht v.a. denjenigen zur Verfügung stehen, die sie sich leisten können. Warum ist das Bezirksamt nicht dem Beispiel der Stadt Bremen gefolgt, die allen Haushalten mit Bewohnern zwischen 5 und 59 jeweils 5 FFP2 Masken nach Hause geschickt hat? (die Älteren sollen sie ja von den Krankenkassen bekommen. . . Bremen hat übrigens auch die Familien mit schulpflichtigen Kindern mit Laptops versorgt . . . )
Oder hätte das Bezirksamt sich nicht ein Beispiel an Tschechien nehmen können? Hier wurde mit einer groß angelegten Kampagne für das Tragen von Masken geworben, an „Maskenbäumen“ wurden Masken zum Mitnehmen aufgehängt, Songs wurden gedichtet, bekannte Statuen bekamen Masken auf. Es entwickelte sich eine regelrechte Bewegung mit Slogans wie „Behalt deine Tröpfchen für dich“ oder „Meine Maske schützt dich, deine Maske schützt mich.“
So sehen wirksame Public Health-Strategien in Pandemie-Zeiten aus !
Wird dagegen v.a. auf Repression statt auf Überzeugung gesetzt, dann werden Vorschriften wie das Tragen von Masken auf Unverständnis bis hin zu Widerstand stossen. Von interessierter Seite kann es als Zeichen der Schwäche charakterisiert werden ( so wie vom Ex-Präsidenten Trump in den USA), und keine Maske zu tragen wird damit zum Akt der Selbstbehauptung.
Auch in Deutschland findet man diese Argumentation, das neueste Graffiti am Crellemarkt ist ein deutliches Beispiel dafür.
Wir werden noch länger mit dem Virus leben müssen.
Das Bezirksamt sollte dringend seine Strategie zum Umgang mit der Pandemie und seine Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung überdenken.
Es muss dabei die Bevölkerung mitnehmen!
Eher hilflose und wenig nachhaltige Massnahmen wie der kurzfristige Lockdown des Crellemarktes werden uns dabei nicht wirklich weiterhelfen. Im Gegenteil: Sie können vielmehr als Ausdruck mangelnder sozialer Empathie verstanden werden, oder sogar als Ausdruck sozialer Diskriminierung.